Du hast ein Rangordnungsproblem

Du musst ein Rudelführer sein! Mein Hund ist ein Alphahund! Dein Hund ist dominant! Du musst dich durchsetzen, ihm zeigen, wer der Herr ist!

Dominanz und Rangordnung gehören wohl zu den Unwörtern in der Hundeszene. Zumindest im 20. Jahrhundert. Doch noch heute ist dieses Hierarchiedenken in den Köpfen vieler Hundehalter verankert. Das Bild vom Hund, der wie auf einer Leiter Stufe für Stufe emporsteigt, um am dem Thron zu kratzen, der eigentlich dem Halter gebührt.

Zieht der Hund an der Leine, ist er dominant.
Liegt er auf dem Sofa, ist er dominant.
Lässt er sich sein Futter nicht wegnehmen, ist er dominant.
Befolgt er keine Kommandos, ist er dominant.
Für viele Menschen ist ein Hund dominant, sobald er nicht genau das tut, was der Halter gerade von ihm will.

Das Ergebnis sind Hundehalter, die ständig Kommandos üben – „Unterordnung“ machen.
Die nicht einfach eine Tür aufmachen, sondern genau darauf achten, dass sie vor dem Hund durchgehen.
Da wird der Hund angestarrt, weil der Schwächere zuerst wegguckt.
Da wird die Schnauze schmerzhaft zugedrückt, um den Schnauzengriff zu imitieren.
Oder der Hund wird einfach umgeschmissen und seine Kehle zugedrückt, was dann der „Alphawurf“ sein soll.

Das Märchen der Dominanztheorie

Es schien bei Hummeln so zu sein. Es schien bei Hühnern so zu sein. Also musste es bei Wölfen und Hunden doch genauso sein.

Beobachtungen von Gehegewölfen bestätigten scheinbar diese These. Auch dort schien es diese Hackordnung zu geben, die sich in körperlichen Auseinandersetzungen äußerte. Dass es daran lag, dass man wahllos nicht miteinander verwandte Wölfe zusammen in ein viel zu kleines Gehege sperrte, auf die Idee kam damals niemand.

Und wie es wirklich ist

Beobachtungen von freilebenden Wolfsrudeln haben dann gezeigt, wie es wirklich ist. Dass Wölfe in Familienverbänden leben, ähnlich wie wir Menschen.

Ein Rudel besteht aus dem Elternpaar und seinem Nachwuchs. Dieser darf zuerst fressen, weil die Futterreihenfolge überhaupt nichts mit Dominanz zu tun hat. Dieser darf vorlaufen, weil die Laufreihenfolge auch nichts mit Dominanz zu tun hat. Und er darf solange in und mit seiner Familie leben, bis er seine Familie verlassen möchte, um eine eigene Familie zu gründen.

Dominanz ist keine Eigenschaft wie groß, klein, dick oder dünn. Dominanz ist ein Verhalten, welches in einer entsprechenden Situation gezeigt wird.

Und Rudelführer zu sein ist ein doofer Job. Man ist für alles verantwortlich. Für die Futtersuche, den Nachwuchs, für die Ordnung und die Verteidigung des Rudels. Freiwillig macht das kaum einer. Umso abwegiger ist der Gedanke, dass Hunde versessen darauf sind, alle Macht zu erlangen.

Warum so viele Menschen das nicht verstehen

Auch wenn das Gegenteil schon lange bewiesen ist, glauben noch immer sehr viele an das hündische Streben nach Herrschaft. Woran liegt das?
Ein Grund mag bei den Trainern liegen, die sich selbst nicht weiterbilden und nach alten Methoden lehren.
Auch Fachbücher werden nicht einfach geändert, nur weil es neue Erkenntnisse in der Hundeforschung gibt. Dazu kommen bekannte Fernsehtrainer, die diese These weiterhin propagieren.

Der Hauptgrund aber liegt in uns selbst. Wir Menschen, die als nahe Verwandte der Primaten ein ganz anderes Sozialverhalten haben.
Bei uns liegen die Dominanz und das Streben nach Macht in den Genen.
Da sind bestimmte Gesten und Rituale in Geschäftsbeziehungen, die Macht ausdrücken. Da werden schon Babys beschuldigt, durch ihr Schreien ihren Willen durchsetzen zu wollen. Da wird genau darauf geachtet, dass der Partner in der Beziehung nicht mehr bestimmt, als man selbst. Da wird Nachwuchs „ranghoch“ geboren. Alles Dinge die im Familienverband von Hunden nicht vorkommen.

Die Evolution hat uns im Laufe der Zeit etwas „sozialer“ gemacht. Wir haben uns etwas angepasst. Es ist nur noch nicht beim Umgang mit unseren Hunden angekommen.

Deshalb haben WIR das Dominanzproblem, nicht unsere Hunde.

Grund genug, um mal wieder etwas mehr wie Familie zu denken. Denn dann erledigen sich viele Probleme von selbst.

Ich bin Manuela, anfang 40 und blogge rund um Hund und Tierschutz. Beruflich bin ich als Tierpflegerin unterwegs. Meine beiden Hunde Muffin und Zora begleiten mich im Alltag.

Schon gelesen?

Welpentraining

Die besten Tipps zum Welpentraining

Du bist neu in der Hundeerziehung und möchtest Deinem neuen Welpen das richtige Benehmen beibringen? …

5 Kommentare

  1. Das ist der totale Blödsinn !!!!
    Wenn Du zwei Hunde zuhause hast und der jüngere sich nach Jahren zum Alphatier entpuppt,
    dann weiß man sehr wohl was Dominanzverhalten bedeutet.Das ständige Angehen und Beißen
    trägt nicht wirklich zu einem friedlichen Miteinander bei……

    • Ich stimme Jacky zu, der Text ist in grossen Teilen realitätsfern. Es ist richtig, dass der Hund nicht einfach so „die Leiter hinauf klettern“ mag. Jedoch lebt der Hund in einem Sozialverband, in dem eine Leitfigur vorgegeben ist, die sich um Schutz, Nahrung, Erziehung etc. kümmert. Wenn diese Positiin nicht vom Menschen besetzt ist, übernimmt automatisch der Hund (ob er das nun nag oder nicht), einfach weil sie notwendigerweise besetzt sein muss. Als Halter eines grossen Hundes will man nicht wirklich, dass sich der Rotti oder Grosspudel um die Sicherheit oder Erziehung der Familienmitglieder kümmert. Ergo MUSS der Mensch das Rudel führen. Konsequent und ohne Gewalt!

  2. Sehr schöner Text! Unsere Hunde leben mit uns im Familienverband, noch nie gab es Streitigkeiten oder Aggressionen. Auch uns Menschen gegenüber nicht. Hunde sind keine Marionetten, die man per Befehl zu bestimmten Handlungen zwingen sollte. Was bei uns das Wichtigste ist, ist das klare „Nein“! Das kennen sie und so zeigen wir ihnen ihre Grenzen. Ansonsten natürlich noch „Hier“, wenn wir unterwegs sind. So leben wir sehr gut zusammen, auch wenn es anfangs nicht einfach war. Sitz, Platz, Bleib, … und Co. können unsere Hunde, wir nutzen es aber nie. Sie können sehr gut selbst entscheiden, ob sie rumlaufen wollen oder liegen 😉 Mir tun Hunde leid, die mit ihren Bauchtaschen-bewaffneten, mit neuesten Erkenntnissen der Hundeerziehung-belesenen und übereifrigen Haltern sich zum Spielball machen lassen müssen, weil ihr Besitzer es scheinbar geniesst ein Lebewesen komplett zu kontrollieren. Gib einem Menschen Macht und du erkennst seinen wahren Charakter!!! Ein Rudel führen bedeutet nicht, ständig den Hund in seinem Tun einzuschränken. Geh hier hin, mach da Platz, bleib 1 Std. liegen, mach dies, mach das, …. wozu??? Das macht den Hund total verrückt, er lauert ständig auf neue Befehle, anstatt sich einfach dem alltäglichen Rudel-Leben hinzugeben.

  3. Danke für diesen Artikel. Ich sehe das auch so und meine Hundetrainerin zum Glück auch. Wir müssen unseren Hund sogar regelmäßig vor gut gemeinten Übergriffen (Schnauzengriff, Schläge etc.) schützen. Für mich – und sicher auch für unseren Hund – ein gewalttätiger Übergriff, der aber vom Verursacher leider nicht als solcher angesehen wird. Was manche Menschen unter ‚Hundeerziehung‘ verstehen grenzt an Tierquälerei…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert